11.10.2023 10:45
Meisterstunde mit den Stars
Das Jazz-Festival Generations ist vorüber – neben tollen Konzerten gab's Nachwuchsförderung mit Masterclasses
Bandleaderin Anna Regina Kalk ist eine aufstrebende Jazz-Musikerin. Sie hat in diesem Jahr ihre Ausbildung an der HSK Bern abgeschlossen und erste Alben veröffentlicht. Am Generations Festival konnte sie neue Erfahrungen sammeln und zusammen mit Jazz-Grössen spielen.
Frauenfeld Die Masterclasses des diesjährigen Jazz-Festivals fanden zwar in den Räumen der Kantonsschule statt. Wie typischer Schulunterricht wirkten die Sessions jedoch nicht. Nachdem Elina Duni den Raum betritt, zieht sie erst mal die Schuhe aus, checkt das Mikrofon und dreht ein bisschen an den Reglern. «Was wollen wir machen?», fragt sie die Band. «Wir wollen spielen!», antwortet Gitarristin Anna Kalk. «Also: Spielen wir!», ruft ihr Gegenüber mit Begeisterung. Die Band muss lächeln angesichts ihrer natürlichen Direktheit. Anna Kalk reicht ihr die Notenblätter.
«Spielen, spielen, spielen»
Der Song heisst «Hope», ein «breezy little piece», wie sie der albanisch-schweizerischen Künstlerin noch beschreibt, bevor Trompeter Paul Butcher den Ablauf mit ihr durchgeht und die Sängerin auf wichtige Stellen hinweist. Die Konversation zwischen Band und Mentorin wechselt ständig zwischen Französisch, Deutsch und Englisch hin und her. Dann geht es los. Im Sitzen improvisiert Elina Duni, noch ohne Worte, um ein Gefühl für die Musik zu bekommen. Vor dem zweiten Durchgang muss sie zugeben, dass die Form verwirrend ist. Nochmals gehen sie die Strukturen durch. Danach klingt die Musik schon dynamischer, Elina Duni fühlt sich deutlich wohler, kommt immer mehr hinein, auch die Band groovt sich ein. Drummer Xavier Käser, der das Quartett zusammen mit Kontrabassist Loïc Baillod komplettiert, ist an diesem Herbstnachmittag zwar nicht da. Aber das macht nichts. Anna Kalk hat viel selbst komponiertes Material, mit dem sie arbeiten will. «Wir wollen so viel spielen wie möglich», erklärt die Estländerin ihr Ziel. Sie hat sieben Jahre lang studiert, an drei verschiedenen Hochschulen in Tallin, Weimar und Bern. Aktuell spielt sie in mehreren Formationen und konnte bereits begeisterte Kritiken ernten. Anna Kalk hat genug vom Schulbankdrücken, sie will auf die Bühne und zeigen, was sie kann.
Zurück zu den Ursprüngen
Masterclasses am Generations gehören zur DNA des Jazz-Festivals, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feierte. Von Beginn an stand im Fokus, jungen Künstlerinnen und Künstlern wichtige Impulse für ihre spätere Laufbahn zu geben. Junge Talente sollen während einer Woche Raum bekommen für Kreativität und Austausch mit renommierten Mentorinnen und Mentoren. In diesem Jahr bemerkenswert: Neben Schlagzeuger John Hadfield und Toningenieur Andy Neresheimer leiteten nur Künstlerinnen die Masterclasses.
Ein besonderes Erlebnis
Ebenfalls auffallend: Der Altersunterschied zwischen ihnen und den Schülerinnen und Schülern war teilweise minim. Anna Regina Kalk ist Jahrgang 1993. Chelsea Carmichael, eine der Mentorinnen, ist nur ein Jahr älter. Die israelische Gitarristin Dida Pelled, auf deren Zusammenarbeit sich Anna Kalk am meisten freute, weil sie dasselbe Instrument studiert haben, wurde nur wenige Jahre vorher geboren und gehört somit, das muss man sagen, zur selben Generation. «Was mir besonders gefällt, ist die Arbeit ohne Zeitdruck», sagt Anna Kalk über das Band Camp. Es sei ganz besonders, so viele Stars auf einmal zu treffen, sie kennenzulernen und zusammen zu musizieren. Das Band Camp umfasste Arbeit am Songwriting, Unterricht in der Selbstvermarktung oder einen Aufnahme-Tag in einem professionellen Tonstudio. «Es ist zudem schön, das wir etwas mitnehmen können», lobt die Musikerin das Konzept des Festivals. Am Ende konnte sie eine Menge Erfahrung sammeln. Indem sie mit Jazz-Grössen zusammen spielte und mit ihnen die Bühne teilte. Aber auch durch die Aufnahmen, die sie danach in der Tasche hat. «Ausserdem wurde am Studiotag ein Video gedreht», erzählt sie – heutzutage in der schnelllebigen Welt des Musikbusiness ein unentbehrliches Werkzeug, um bekanntzuwerden und die musikalische Laufbahn erfolgreich weiterzuführen.
Ab auf die Bühne!
Vier Bands nahmen in diesem Jahr am Band Camp teil. Neben der Fortbildung galt es für diese, am Abend Konzerte im Rahmen eines erstklassigen Programms zu spielen. An vier Tagen durften die jungen Formationen das Festival im Eisenwerk eröffnen. Das Anna Kalk Quartett spielte am Dienstagabend. Mit ihren schüchternen Ansagen auf Englisch stimmte die Gitarristin das Publikum passend auf den sphärischen Klang der selbst geschriebenen, teilweise improvisierten Songs ein. Ihre Musik komme ihr manchmal vor, wie der Blick ins erleuchtete Fenster eines gegenüberliegenden Hauses in der Nacht. Wie das Aufblitzen eines anderen Lebens. Eine Vision. Schön, dass das Generations Festival so etwas ermöglicht.
Von Stefan Böker