«Geht es der Wirtschaft gut, geht es dem Volk gut»
Ueli Hausammann, Gewerbepräsident von Müllheim Wigoltingen, über Fachkräftemangel, einen ausgewogenen Branchenmix und die Auswirkungen der derzeitigen Kriegssituation auf das regionale Gewerbe.
Gewerbepräsident Ueli Hausammann: «Vom Arzt, über den Metzger bis zum Blumenladen findet man in Müllheim und Wigoltingen alles für ein gutes Leben.»
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Ueli Hausammann, Gewerbepräsident von Müllheim Wigoltingen, über Fachkräftemangel, einen ausgewogenen Branchenmix und die Auswirkungen der derzeitigen Kriegssituation auf das regionale Gewerbe.
Herr Hausammann, wie viele Mitglieder gehören zum Gewerbeverein Müllheim Wigoltingen?
Unser Verein zählt aktuell 96 Mitglieder. Schön ist, dass wir stetiges Wachstum verzeichnen können.
Und seit wann gibt es den Gewerbeverein bereits?
Die ersten mir bekannten Statuten stammen vom 3. April 1938. Diese wurden 1993 erstmals überarbeitet und zum zweiten Mal unter meiner Leitung im Jahr 2023. Unsere Dachorganisation, der Thurgauer Gewerbeverband besteht seit dem Jahr 1892. Im Jahr 1993 ist unser Verein dem kantonalen Gewerbeverband beigetreten. Ich habe mich mit dieser Frage erst jetzt auseinandergesetzt – dank Ihnen. Es ehrt mich gerade, so eine lange Tradition weiterführen zu dürfen.
Welchen Zweck oder welches Ziel hat der Zusammenschluss der verschiedenen Gewerbetreibenden?
Der Vereinszweck ist in fünf Bestandteile aufgegliedert. Dazu gehören die Förderung des fairen Wettbewerbes und Bekämpfung unlauteren Geschäftsgebarens, die Förderung des beruflichen Nachwuchses, insbesondere des Lehrlingswesens, sowie die Fort- und Weiterbildung von Vereinsmitgliedern und deren Mitarbeitern. Weiter auch die Wahrung der gemeinsamen Interessen gegenüber Behören, der Öffentlichkeit und der anderen Institutionen des privaten und öffentlichen Rechts. Und was sicher nicht fehlen darf: Die Pflege der Geselligkeit unter den Vereinsmitgliedern.
2023 fand in Müllheim die müwiga statt. War diese Ausstellung erfolgreich und warum findet sie nur alle fünf Jahre statt?
Ja, diese schöne Ausstellung ist leider schon wieder Geschichte. Ich für mich bezeichne die letzte müwiga als sehr gelungen. Grundsätzlich war diese Messe eigentlich im Jahr 2020 geplant. Wegen Corona wurde die Messe aber drei Mal verschoben. Dies war eine Zerreissprobe für das Organisationskomitee. Der Abstand von fünf Jahren lässt das Organisationskomitee die Strapazen besser vergessen (lacht). Nein, dieser Abstand hat sich so eingebürgert und wurde vom Vorstand weitergeführt. Die Gesellschaft ist sehr beschäftigt. Wie schnell sagt man, wenn etwas vor zwei Jahren war: «Ach, das fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen». So kann es nach dem Erachten unseres Vorstandes auch zu viel des Guten sein und man verliert Besucher und/oder Aussteller.
Sind vom oder für den Gewerbeverein in diesem Jahr Veranstaltungen geplant?
Spezielle Anlässe sind nicht vorgesehen. In den letzten Jahren hat sich in unserem Verein gezeigt, dass die Gewerbler lieber kleinere, kürzere und spontane Anlässe schätzen. Dies kann ein Feierabend-Treffen bei Wurst und Bier sein. Oder ein Treffen, um andere Vereine bei einem Anlass zu unterstützen. Wie auch eine Betriebsbesichtigung. Solche Anlässe stehen sicher auf dem Programm, teilweise auch mit einem fachlichen oder politischen Input gespickt. Anlässe für die Öffentlichkeit oder ein Tagesausflug im Verein steht dieses Jahr nicht an. Sicher aber die öffentlichen Anlässe der einzelnen Gewerbebetriebe selbst, beispielsweise Ausstellungen, die immer ein Besuch wert sind.
Wie steht es bei den Betrieben in Müllheim und Wigoltingen um den Fachkräftemangel?
Vor allem aus meiner eigenen Tätigkeit als Finanzplaner und Versicherungsexperte sehe ich in viele Betriebe. Das Thema Fachkräfte steht bei den Sorgen an oberster Stelle.
In teils Branchen, inklusive meiner, ist «der Markt» mehr als ausgetrocknet. Hinzukommen erschwerende Bedingungen für Kleinbetriebe, die mit den Standards der Grossfirmen nur sehr schwer mithalten können. Familiäres Klima, vertrautes Miteinander, Job-Sicherheit auch in schwierigen Zeiten, «zämehebe» in Notsituationen sind Werte, die nur noch bei einer kleinen Anzahl potenzieller Mitarbeiter höhere Prioritäten geniessen. Wie überall geht es immer mehr um die eigenen Vorteile. Der hohe Lohn, die Teilzeitarbeit und möglichst keine Verantwortung übernehmen, sind sehr in Mode. Für den Endverbraucher leidet in vielerlei Hinsicht dann die Qualität. So bin ich aber genau aus diesem Grund wieder zu 100 Prozent überzeugt, dass auch Kleinstbetriebe mehr als überleben werden, da der Chef dort selbst auf Platz ist und mit seinem Namen für die Arbeit gerade steht. .
Vor allem die Gastrobranche hat seit Corona Personalprobleme? Wie sieht es diesbezüglich in der Gastroszene in Ihrer Region aus?
In unserer Gewerbevereinsregion sind die Betriebe von aussen betrachtet intakt. Bezüglich Personal umschreiben aber auch diese Betriebe, dass es enorm schwierig ist, passendes Personal zu finden. So ein Kunde von mir: «Bereits vor der Pandemie war es nicht einfach, genügend und qualifiziertes Personal für die Gastrobranche zu finden. Corona hat dies jedoch noch verstärkt. Die Gastrobranche war während den Lockdowns bzw. der gesamten Corona-Zeit eine der Branchen, welche am stärksten von allen Massnahmen betroffen war und sehr viel einstecken musste. Aus diesem Grund haben viele Gastro-Angestellte sich währenddessen neu- bzw. umorientiert und kamen nicht mehr auf den Beruf, in die Branche zurück. Leute aus der Gastronomie sind in anderen Branchen sehr begehrt, da sie dienstleistungsorientiert denken und arbeiten.» An meinem Wohnort sind im 2024 zwei Gastrobetriebe geschlossen worden. Einer altershalber, einer wegen Kündigung des Mietverhältnisses. Das Gesellschaftliche, vor allem für ältere Personen leidet sehr. Ebenso das Mittagsmenü – vor allem im Winter – für Personen, die draussen an der Kälte arbeiten.
Welche zusätzlichen Gewerbebranchen, die jetzt noch nicht ansässig sind, würden Sie sich für die Region Müllheim und Wigoltingen noch wünschen?
Das ist eine gute Frage. Wir sind aktuell glücklich, wie es ist. Vom Arzt, über den Metzger bis zum Blumenladen findet man alles fürs Leben in den beiden Gemeinden. Gut, ein Spital fehlt aktuell noch (lacht). Sicher liegt Müllheim-Wigoltingen im Thurgau optimal und zentral, für einen Geschäftsstandort. In diesen Gemeinden herrschte in den letzten Jahren eine rege Bautätigkeit. Der Wunsch nach Wohnen auf dem Land wurde durch die Pandemie noch verstärkt. Der Zuwachs von Einwohner bedeutet für jedes Gewerbe Kundenpotenzial. Dies gilt es zu «aktivieren». Ich denke, es kann gesagt werden, dass wir in Müllheim und Wigoltingen sämtliche notwendigen Bereiche abdecken können.
Sie sind jetzt seit zwei Jahren Gewerbepräsident von Müllheim und Wigoltingen. Gibt es etwas, dass Sie anders machen als ihr Vorgänger oder etwas Neues, dass sie anstreben möchten, damit das Gewerbe noch besser vernetzt ist?
Jede Person, die ein Amt neu besetzt, macht sicher etwas anders oder bringt neuen Schwung in gewissen Bereichen mit sich. Das erachte ich als normal. Ja, sollte auch so sein. Mein Vorgänger Heinz Fehlmann hat den Verein über 20 Jahre als Präsident geleitet und weitergebracht. Das sind etliche Stunden, die nirgends rapportiert werden - das ist eine Leistung. Ich sage oft, es ist wichtig, überhaupt etwas zu machen, sich zu engagieren, sich einbringen und sich investieren. Vor dem habe ich weit höheren Respekt – auch wenn mal etwas schief läuft - als vor der Faust im Sack. Ebenso soll es im Sinne des Vereines sein und mit der Mehrheit übereinstimmen. Seit meinem Antritt haben wir die Statuten überarbeitet und den Vorstand neu ergänzt. Ebenso haben wir eine Homepage ins Leben gerufen und so eine Plattform geschaffen für die Mitglieder, Interessierte und die Öffentlichkeit. Letztes Jahr war unsere müwiga. So läuft immer etwas und es gibt noch viel zu tun. www.gewerbe-mw.ch
Wo trifft man Sie, wenn Sie privat in Müllheim oder Wigoltingen unterwegs sind?
Da ich Ende 2022 mit meiner Familie nach Uesslingen zügeln durfte, sieht man mich in Müllheim oder Wigoltingen meist bei der Arbeit. Dazu aber auch beim Einkauf, auf einer Joggingrunde, um den Kopf zu lüften, in Restaurants und selbstverständlich im Gewerbeverein.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft für das regionale Gewerbe?
Dass die brodelnden Kriege ein baldiges Ende nehmen und sich die Konflikte nicht ausweiten. So dass sich die Lage normalisiert und der Wirtschaftsmotor nicht noch weiter unter Druck gerät. Geht es der Wirtschaft gut, geht es dem Volk gut. Ebenso wünsche ich mir eine Gesinnung, dass nicht alles selbstverständlich ist, was wir haben. Etwas mehr Dankbarkeit anstelle von Stolz wäre an vielen Stellen angebracht. Ein Erwachen aus dem Wohlstandsschlaf und die Besinnung auf die Werte, welche uns so weit gebracht haben, erachte ich als wichtig. So kommt die Bodenhaftung von allein wieder. ⋌⋌⋌
Interview: Angelina Rabener
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