Um sein Geschlecht im Pass zu ändern, waren bis 2022 langwierige und für Betroffene unangenehme Gerichtsverfahren nötig. Symbolbild: Adobe Stock
24.05.2023 23:45
Gesagt oder nicht gesagt?
Wie ein mehrdeutiges Zitat aus der «Thurgauer Zeitung» aus dem Jahr 2021 bis heute für Furore sorgt
Gesagt oder nicht gesagt? Oder anders gemeint? SVP-Kantonsrat Hermann Lei hat sich mit einer Richtigstellung an die «Frauenfelder Nachrichten» gewandt. Es geht um eine lange zurückliegende Aussage von ihm im Grossen Rat. Diese Aussage habe er nie getroffen, behauptet Lei. Das stimmt. Transfeindlich empfanden sie andere trotzdem.
Frauenfeld «Das ist – mit Verlaub – frei erfunden. So etwas habe ich nie gesagt, auch nicht sinngemäss», schreibt SVP-Kantonsrat Hermann Lei verärgert an die «Frauenfelder Nachrichten».
Worum geht es?
In einem Interview Ende März (nachzulesen auf unserem Onlineportal) hatte Eva Büchi, die Präsidentin von Queer Thurgau, von den Anfängen des Vereins erzählt. Es sei eine Aussage von Lei gewesen, die sie zur Vereinsgründung animiert habe. Büchi: «Er meinte allen Ernstes, Männer liessen sich zu Frauen umoperieren, um sich vor dem Militär zu drücken.» Hermann Lei forderte in der Folge eine Richtigstellung. Es sei ihm schleierhaft, wieso Büchi auf die Idee komme, mit erfundenen Geschichten andere öffentlich zu verunglimpfen, so Lei. Die «Frauenfelder Nachrichten» haben daraufhin eine Richtigstellung im Sinne des streitbaren SVP-Politiker veröffentlicht. Warum?
Lei hat Recht. Die «Thurgauer Zeitung» hatte ihn mit Foto wie folgt zitiert: «Plötzlich wird ein Mann zur Frau, um den Militärdienst zu umgehen», stand dort am 15. März 2021 zu lesen. Lei wollte verhindern, dass eine Geschlechtsänderung im Pass vereinfacht wird. Denn er befürchtet Missbrauch. Bezog sie sich nun auf eine Geschlechts- und Namensänderung im Pass oder auf eine körperliche Geschlechtsumwandlung?
Dieses mehrdeutige Zitat, dazu die ausführliche Begründung im Text war es, welche Eva Büchi in Rage brachten. Und weitere Aussagen auch, wie sich neun Tage später im Grossen Rat zeigte.
Dort sagte Lei laut Protokoll über die bundesweit geplante Vereinfachung: «Es muss lediglich die innere feste Überzeugung vor dem Zivilstandsbeamten dargelegt werden. Da ist es möglich, sich vor dem Militär- oder Zivildienst zu drücken oder eine Rente zu erhalten, die ein Mann vielleicht nicht erhält. Dieser Missbrauch kann nicht verhindert werden. Er schadet den Transmenschen, weil sie in Verdacht geraten, Personen zu sein, die durch unlautere Mittel irgendwelche Vorteile ergattern wollen.» Was Lei nie behauptete, war, dass Transmenschen sich «umoperieren» lassen würden, um zu betrügen. Lei im Grossen Rat über Operationen: «Es ist meine Überzeugung (…), dass man die Möglichkeit haben muss, sein Geschlecht zu ändern, wenn man sich in einem falschen Körper geboren fühlt.» Und weiter: «Ich bin davon überzeugt, dass die Anpassung des Geschlechts für die betroffenen Personen ein langer und schmerzhafter Prozess ist.»
Unterstützung im Grossrat
Die Schlussabstimmung im Grossen Rat fiel damals sehr knapp zugunsten von Transmenschen aus. Auch das war sicherlich ein Alarmzeichen für Eva Büchi. Denn, wie sie damals im Interview sagte, Transmenschen seien die verwundbarste Gruppe in der queeren Community. Was ihr aber Mut gemacht haben dürfte, waren die Mitglieder des Grossen Rats, die Leis Argumentation widersprachen. Etwa die Grünen Regina Rüetschi und Karin Bétrisey. Oder die Sozialdemokratin Nina Schläfli. Oder Gabriel Macedo, FDP. Karin Bétrisey sagte beispielsweise über die Gegenseite: «Wie können sie es wagen, ein derart heikles, persönliches Thema komplett ins Lächerliche zu ziehen, indem sie ihre Opposition hauptsächlich damit begründen, dass ein möglicher Missbrauch befürchtet wird?» Und weiter: «Sie legen damit eine Respektlosigkeit gegenüber den Betroffenen an den Tag, die mich erschüttert.» Und Gabriel Macedo erklärte: «Ein Eintrag im Register ist der Abschluss und nicht der Beginn eines langwierigen schmerzhaften Prozesses für die betroffenen Personen.»
Seit etwa eineinhalb Jahren gilt die neue Regelung nun. Im Thurgau gab es bisher keinen einzigen Fall von Missbrauch (siehe Kasten).
Von Stefan Böker
Betroffene froh über Erleichterung
Seit dem 1. Januar 2022 ist eine amtliche Geschlechtsänderung mittels einer Erklärung beim Zivilstandsamt möglich. Bis anhin war dafür ein Gerichtsverfahren nötig. Vor 2022 wurden rund 5 Geschlechtswandlungen im Personenregister eingetragen. 2022 waren es derer 34, im laufenden Jahr 7. Wie die zwei Zivilstandsämter des Kantons auf Anfrage des «Frauenfelder Nachrichten» mitteilen, sind die Betroffenen froh über diese Erleichterung. Missbrauchsfälle sind den Ämtern gemäss Abteilungsleiterin Claudia Berner Lennon nicht bekannt. Sie zitiert aus den Weisungen des eidgenössischen Amtes für Zivilstandswesen (EAZW). «Fälle von missbräuchlicher Geschlechtsänderung sind weder in der Schweiz noch im Ausland bekannt. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft nicht zu solchen Situationen kommen wird.»