Referendum-Komitees, im Glück. Lukas Madörin (l) Stefan Wolfer, Manuel Strupler und Markus Schär.
23.05.2025 10:15
Freud und Leid nah beieinander
Das Referendumskomitee hat erreicht, was es wollte - das angepasste Friedhofsreglement wurde abgelehnt
Das Ergebnis war denkbar knapp, der Weg dorthin lang und engagiert: Mit 51.6 Prozent hat das Weinfelder Stimmvolk das revidierte Friedhofsreglement am vergangenen Sonntag abgelehnt. Weinfelden Damit kommt das geplante muslimische Grabfeld nicht zustande. Für viele, die sich intensiv mit der Vorlage beschäftigt hatten, ist das Nein ein herber Rückschlag – und für die Stadt eine vertane Chance.
Weinfelden Am Sonntag um 13.30 Uhr versammelten sich die Komitees, der Stadtrat und die Presse im Foyer des Rathauses. Als Stadtpräsident Simon Wolfer nüchtern das Resultat bekannt gab, ging ein Raunen durch dieReihen. Enttäuschung in den Gesichtern von Alexandra Beck und ihrenKolleginnenundKollegen, siegessicheres Lachen und Schulterklopfen seitens des Referendumskomitees.ImAnschlussnahmdie Stadt gefolgt von den Komitees im Rathaussaal Stellung vor der Presse. Simon Wolfer nahm das Resultat mit Bedauern zur Kenntnis: «Nach über 20 Jahren war es höchste Zeit, das Friedhofsreglement zu überarbeiten», betonte er. Die Stadt habe eine ausgewogene, auf Weinfelden zugeschnittene Lösung gesucht. «Viele Menschen haben sich sehr differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt – das verdient Anerkennung, unabhängig vom Ausgang.» Auch wenn das Ergebnis enttäusche, werde der Stadtrat die Arbeit fortsetzen. «In den kommendenWochen wird die Vorlage erneut beraten», so Wolfer.
Stadträtin Ursi Senn, Präsidentin der Friedhofskommission, zeigte sich bewegt: «Es ging nicht nur um ein paar Paragrafen – sondern um die Frage,wie wir in Weinfelden mit Vielfalt umgehen. Der Entscheid hat uns nicht geeint – er hat uns gespalten.» Sie versteht, dass es bei Teilen der Bevölkerung Unsicherheit gab: «Das Unbekannte macht Angst.Aber der Fokus sollte nicht auf dem Trennendenliegen, sondern auf dem,was verbindet.» Senn betonte, es gehe nicht darum, Religionen zu privilegieren, sondern individuelle Bestattungswünsche zu ermöglichen. «Das Nein bringt unsere Stadt nicht weiter.» Auch im Pro-Komitee war die Enttäuschung greifbar. Alexandra Beck rang nach Worten: «Weinfelden war noch nicht bereit. Der Wert des Kompromisses hat weniger gezählt als das politische Signal.» Angela Testa Beer verwies auf die vielen positiven Gespräche im Vorfeld der Abstimmung: «Links wie rechts gab es Zustimmung. Viele haben sich engagiert, viele haben zum ersten Mal über das Thema Tod, Abschied und Bestattung nachgedacht. Das allein war wertvoll.» Für Simon Engeli ist klar: Die knappe Entscheidung verpflichtet. «Das Gegenkomiteehatangekündigt,eine andere Lösung zu suchen – wir sind gespannt. Die Bedürfnisse der muslimischen Gemeinschaft sind bekannt. Der Stadtrat ist jetzt gefordert, zeitnah zu handeln.» Doch vorerst sei man eins: müde. Die Monate zogen sich in die Länge. Wie sehr sichdasPro-Komiteeweiter einbringen wird, sei noch offen. Das Ziel sei aber weiterhin, einen Kompromiss zu finden.
Das Referendumskomitee: «Es ging ums Prinzip»
Nach der Veranstaltung sagte Angela Testa Beer: «Vielleicht war das Thema auch über zu lange Zeit zu präsent, und die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ohne konkretenBezug‘klinkten’ sichaus.»Siehabe bereits mit Unterstützerinnen und Unterstützern muslimischen Glaubens nach dem ernüchternden Resultat gesprochen. «Auch wenn fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler sich für die Anpassung entschieden haben, ist es trotzdem ein Nein für sie.» Für das Referendumskomitee war von Anfang an klar: Es ging ihnen weniger um Details im Reglement, sondern um grundsätzliche Fragen des Zusammenlebens. Historiker Markus Schär erinnerte daran, dass bereits 2006 über muslimische Grabfelder diskutiert wurde – «aber die Debatte wurde nie wirklich geführt». Bisher hielt er sich eher im Hintergrund und überliess den «bekannten Köpfen» wie Nationalrat Manuel Strupler die Präsenz nach aussen. Doch nach der Bekanntgabe des Resultats übernahm er das Wort und blickte ausführlich auf die letzten 150 Jahre zurück, als Kirche und Staat sich trennten. Manuel Strupler, Nationalrat und führende Figur im Referendum, sprach von einem Erfolg der Grundsatzdiskussion: «Was bedeutet Integration, wenn sie auf einem Friedhof beginnt? Was bedeutet Gleichheit, wenn unterschiedliche Regeln gelten sollen?»
Hat es sich gelohnt?
Lukas Madörin wurde nach der Abstimmung gefragt, ob sich sein Engagement für ihn persönlich gelohnthabe–immerhinhatteerdurch seine Rolle im Referendumskomitee bei manchen Kundinnen und Kunden seines Geschäfts an Beliebtheit eingebüsst, teils auch finanzielle Einbussen erlitten. Doch Madörin wich der Frage aus, antwortete nur pauschal. Er wirkte matt, fast erschöpft. Und doch: «Der Dialog hat sich gelohnt», sagte er leise. «In Weinfelden sagt man sich Grüezi auf der Strasse. Das ist auch in diesen Wochen so geblieben.» Im Anschlussgespräch der Weinfelder Nachrichten mit Manuel Strupler und Stefan Wolfer wurde über mögliche neue Ansätze als Kompromiss diskutiert. «Es ging uns immer nurumdie separateGrabfläche,welche gefordert wurde – nicht um die traditionellen Bestattungsrituale», versichert Nationalrat Manuel Strupler.Für siewärees legitim,dassVerstorbene muslimischen Glaubens in denbestehendenGrabreihenbestattetwerden– ineinemlängeren Grab, der SargoderKörpernachMekka gerichtet. Ob dies technisch möglich ist, bleibt offen und muss laut Stadtschreiber Reto Marty «geprüft werden». Mögliche Schwierigkeiten könnten die längerenGräber sein,diemitden bestehenden Wegen kollidieren würden.Dazukönnemannochnicht einschätzen, wie viel «Spielraum» man bei der Bestattung habe – respektive, wie der Sarg oder eben der Leib nach Mekka gerichtet werden könnte.
«Anpassungen sind nur formell»
Bei der Eröffnung eines neuen Grabfeldes in der Zukunft – unabhängig von muslimischen Gräbern – könnte man theoretisch die Wege auf die längeren Gräber anpassen. Doch dann wäre man wieder bei der aktuellen Frage. Laut Marty warte man die Vorschläge des Referendumskomitees ab; erst dann könne man die Möglichkeiten prüfen. Emotional wurde Markus Schär bei der Frage, ob sie «ein schlechtes Gewissen haben, da nicht nur die muslimischen Grabfelder, sondern auch die anderen Anpassungen abgelehnt wurden». Besonders die Regelung, dass tot geborene Babys neu offiziell ein eigenes Grab bekommen könnten, schien bei Schär etwas auszulösen. «Dies sei bisher auch schon möglich gewesen», schaltete sich Strupler ein. Generell seien die restlichen Anpassungen nur formell und würdenbereitsumgesetzt –dieRichtigkeit dieserAussage muss noch abgeklärt werden, da der Leiter Einwohneramt, Roger Häfner, in den nächstenzweiWochenabwesendist. Und jetzt? Die Vorlage geht nun zurück an den Stadtrat. Klar ist: Der Bedarf bleibt – ebenso die Wunde, die das Nein hinterlassen hat. Die Stadt muss neu ansetzen – mit Fingerspitzengefühl, aber auch mit Entschlossenheit. Die Diskussion über das Friedhofsreglement hat eines gezeigt: Gelebte Demokratie ist nicht bequem. Aber sie ist notwendig.
Von Desirée Müller