12.06.2025 08:03
114 Hektare für Golfplätze - und die Thur bangt um Platz
Martin Eugster, Amt für Umwelt, im Gespräch
Mit Thur3 will der Kanton den Hochwasserschutz, den Grundwasserschutz und die Ökologie stärken. Kritik kommt von Landwirten wegen Flächenverlust. Amtsleiter Martin Eugster möchte Klarheit schaffen und die Auswirkungen in Relation setzen.
Region Die Thur soll sicherer, robuster und ökologisch wertvoller werden. Dafür gibt es das Konzept Thur3, das häufig mit einem konkreten Bauprojekt verwechselt wird. «Wichtig ist: Thur3 ist erstmal ein Konzept, kein konkretes Bauprojekt», stellt Martin Eugster, Leiter des Amts für Umwelt, gleich zu Beginn klar. «Es ist eine übergeordnete Planung. Der Gewässerentwicklungsplan zeigt, wie die Thur künftig gestaltet werden soll. Die eigentlichen Bauprojekte folgen erst später.»
Das Thur3-Konzept umfasst die 45 Kilometer lange Flussstrecke quer durch den Kanton Thurgau. Ziel ist es, den Hochwasserschutz zu verbessern, die Sohlenstabilität der Thur wiederherzustellen und den Fluss ökologisch aufzuwerten. Aktuell ist die Thur vielerorts ein eingeengter, lebloser Kanal. Künftig soll sie mehr Platz bekommen, das Ufer beleben und die Gefahr von Überschwemmungen mindern.
Noch nicht alles in Stein gemeisselt
Immer wieder gibt es Kritik, insbesondere von Landwirten, die um ihre Flächen fürchten. Martin Eugster betont: «Die einzelnen Bauprojekte sind noch nicht ausgearbeitet.» Bisher ist lediglich skizziert, wo eine sogenannte Interventionslinie verlaufen könnte, also ein Korridor, in dem der Fluss künftig mehr Raum erhalten soll. Eine Flächenanalyse ergab, dass etwa 212 Hektar Kulturland betroffen sein könnten. «Das ist aber nur eine erste, konservative Abschätzung. Der konkrete Flächenbedarf wird erst mit den Bauprojekten, nach Abwägung sämtlicher Interessen, ersichtlich», so Eugster. Das aktuelle Hochwasserschutzsystem stammt in Teilen noch aus Zeiten, als Dämme mit Ross und Wagen gebaut wurden – über 100 Jahre alt. «Die Dämme müssen dringend ertüchtigt werden. Sie funktionieren an sich noch, aber bei einem grossen Hochwasser wären sie überfordert», erklärt Eugster. Ein weiteres, weniger bekanntes Problem: Sohlenerosion. Seit 1989 hat sich die Thur zum Beispiel bei der Autobahnbrücke um 1,2 Meter eingetieft. Das gefährdet Brückenfundamente und senkt den Grundwasserspiegel. «Wenn die Thur immer tiefer gräbt, verlieren wir wichtige Infrastrukturen. Brücken etwa stehen schon heute auf wackeligem Grund», warnt Eugster. Die Sanierung einzelner Brücken kostet Millionen, kleinere Schwellen mehrere hunderttausend Franken. Ausgaben, die langfristig durch eine grundlegende Flussaufweitung vermieden werden sollen.
Grundwasser gefährdet
Auch das Grundwasser leidet: Im Thurtal liegt es oft nur zwei bis drei Meter unter der Oberfläche. Ein Schatz für Landwirtschaft und Wasserversorgung. Sinkt die Thur weiter, zieht sie das Grundwasser mit sich ab. «Unsere Pumpen hängen im Sommer dann buchstäblich in der Luft», sagt Eugster. Deshalb brauche es ein neues System: «Nicht nur ein Puzzle aus Flickwerk, sondern ein Gesamtkonzept, das auf Dauer funktioniert.»
Dass landwirtschaftliche Nutzfläche ein sensibles Thema ist, versteht Eugster. Aber er weist auch auf Relationen hin: In zehn Jahren wurden im Kanton Thurgau 900 Hektar für Siedlungsentwicklung verbraucht, da fallen die jetzt diskutierten 212 Hektar im Vergleich moderat aus. Golfplätze belegen im Thurgau übrigens 114 Hektar. Ebenfalls landwirtschaftliche Fläche, die umgenutzt wurde. Den Bauern Realersatzflächen anzubieten, sei teils machbar, doch meistens schwierig. Dass die Kühe fünf Kilometer vom Stall entfernt sind, mache keinen Sinn. Zum anderen gebe es schlichtweg zu wenig Land, welche sie den Landwirten zur Verfügung stellen könnten. Leer ausgehen müssten die betroffenen Betriebe nicht: Bei anderen Projekten wurde den Betroffenen das Land vollumfänglich entschädigt.
Mitreden ein Muss
«Das ist kein Projekt für heute oder morgen», betont Eugster. 360 Millionen Franken Investitionen, verteilt auf etwa 30 Jahre, sind geplant. Etappe 1 reicht von Weinfelden bis zur Murgmündung bei Frauenfeld. Mitwirkung wird dabei grossgeschrieben: Alle Interessengruppen, von Bauern bis Umweltverbände, werden einbezogen. «Wir wollen die Bevölkerung ernsthaft beteiligen, auch wenn das nicht gesetzlich vorgeschrieben ist», erklärt der Amtsleiter. Federführend begleitet wird die Mitwirkung von der Delegierten des Regierungsrates Hermine Hascher. Ein zentrales Element dieses Mitwirkungsprozesses ist die Thur-Konferenz, die im April 2025 erstmals stattfand. Sie bringt Vertreterinnen und Vertreter aus 76 Organisationen zusammen, darunter politische Gemeinden, Bürgergemeinden, Landwirtschaft, Umwelt, Wald, Jagd, Fischerei, Sport und Freizeit sowie verschiedene Werksbetreiber. Ziel ist es, alle Beteiligten auf denselben Informationsstand zu bringen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
Martin Eugster zeigt sich irritiert über die Kritik einiger Landwirte, die bereits jetzt ein mangelndes Mitspracherecht beklagen: «Die Thur-Konferenz hat erst einmal stattgefunden. Es ist schwer nachvollziehbar, wie man da schon von fehlender Mitsprache sprechen kann.»
Am Ende geht es um eine Balance: zwischen Schutz und Nutzung, zwischen Landwirtschaft und Natur. Martin Eugster ist optimistisch: «Es braucht einen langen Atem – aber wir haben ihn.»
Von Desirée Müller