Monika und Marco Niedermann vor dem werk der K¨ünstlerin ELf beim Brocki an der Metzgergasse 4. zVg
31.05.2023 23:45
«Wir alle wünschen uns den Blumenstrauss»
Interview mit den Organisatoren des Streetart Festivals
Monika und Marco Niedermann den Verein «Pro Streetart Schweiz» ins Leben gerufen. Dieser vernetzt Streetart Kunstschaffende in der Schweiz und teils auf internationalem Parkett. Das in Frauenfeld wohnende und arbeitende Gründerpaar ist Initiatorin des Streetart Festivals in Frauenfeld.
Das Festival ist wirklich ein beeindruckender Grossanlass. Wann haben Sie mit der Organisation angefangen?
Vor rund 2 Jahren entwickelten wir Idee und Konzept des Festivals. Das dauerte gute 6 Monate, in denen wir viele Gespräche mit Künstlern, anderen Festival-Veranstaltern, der Stadtverwaltung, Vertretern der lokalen Gastronomie und der Wirtschaft führten und so das Konzept stetig überarbeiteten und verbesserten. Danach brauchte es nochmals gute 6 Monate für die erste Finanzierungsrunde, bis wird dann vor gut einem Jahr die Zusage für die Umsetzung erhielten. In diesem Rahmen auch unser grosser Dank an die Stadtverwaltung und alle involvierten Ämter und Personen, die dieses Festival ermöglichten.
Was war die grösste Schwierigkeit, mit der Sie zu kämpfen hatten?
Die Anforderungen an das Projektmanagement sind immens. Mit über 60 Künstlern und so viel einzelnen Projekten ist die Detailarbeit gross. Keines ist gleich, nichts darf vergessen werden, jedes Objekt hat andere Anforderungen, Abhängigkeiten und Beteiligte. Auch wenn sie teilweise ähnlich erscheinen, sind sie trotzdem sehr individuell und müssen als einzelne Teilprojekte geplant und verwaltet werden. Für die Umsetzung eines Murals können beispielsweise Liegenschaftsbesitzer, Liegenschaftsverwalter, Bewohner, Facility Manager, Hochbauamt, Denkmalpflege, Amt für Kultur, der städtische Werkhof, das Amt für Sicherheit, Künstler, Künstlersupport, Fassadenreinigung, Hebebühnenlieferant sowie Material- und Farblieferant involviert sein. Diese müssen alle zum richtigen Zeitpunkt Material oder anderes liefern und die geplanten Arbeiten verrichten. Das hat uns schon mal eine schlaflose Nacht gekostet (lachen).
Die Teilnehmenden wurden aus einer riesigen Anzahl von Bewerbungen ausgewählt. Wer sass mit Ihnen im Team, das die Ausstellung kuratierte?
Die Kuration wurde in einem 4er Team umgesetzt, bestehend aus den Schweizer Streetart Künstlerinnen ELF und Taina zusammen mit uns. Kern der Kuration war der Prozess sowie das vielfältige Kunstkonzept mit verschiedensten Stilrichtungen das uns gemeinsame Rahmenbedingungen gab. Der Prozess lief in der Regel so ab, dass wir im Gespräch mit den Liegenschaftsbesitzern zuerst einen groben Rahmen an Stilrichtungen absteckten, die für sie in Frage kommen. Danach schlugen wir 3-4 passende Kunstschaffende vor, aus denen die Liegenschaftsbesitzer auswählen konnten. Die Wahl der Kunstschaffenden legten wir dem Stadtrat und die Entwürfe der Kunstwerke dem Amt für Kultur vor.
Was sind Ihre persönlichen Highlights?
Wir lieben die Vielfalt, die sich über alle Kunstwerke und Installationen hin erstreckt. Manche sind ganz gross, nahezu fotorealistisch umgesetzt, andere wirken wie ein Ölgemälde, wiederum andere abstrakt, comichaft oder illustrativ, lustig, nachdenklich, ruhig, laut. Und ganz besonders mögen wir die Installationen, die man einfach übersehen kann, wenn man nicht gezielt danach sucht oder sie erstaunt und erfreut per Zufall entdeckt.
Wer seine Mauern zur Verfügung stellen wollte, durfte sich melden. Welche Meldung hat euch am meisten überrascht?
Am meisten überrascht – und gefreut – hat uns die Zusage des Sozialversicherungszentrum des Kantons Thurgau, SVZ-TG (die wir selbst angefragt hatten). Ebenso die Wahl des Künstlers Slim Safont für dieses Gebäude, zumal er teilweise inhaltlich sozialkritische Bilder malt. Dass die Geschäftsleitung des SVZ-TG ihm das Vertrauen schenkte, hat uns sehr gefreut.
Werden alle Kunstwerke nach drei Monaten entfernt oder bleiben manche bestehen?
Alle Murals an Wänden, Fassaden und in den Brunnen bleiben auch nach dem 30. September 2023 bestehen. Anders die Installationen und die Kunstwerke beim Streetart Jam im Lindenpark. Diese werden Ende September/anfangs Oktober wieder abgebaut.
Wie habt ihr die Unterbringung der Künstler*innen organisiert, die teils von weit her nach Frauenfeld gekommen sind?
Wir haben es den Künstlern selbst überlassen, ihre Unterbringung zu organisieren. Es gibt Künstler, die gerne in Hotels und andere, die bei Freunden, im Wohnmobil oder auf dem Zeltplatz wohnen. So können alle ihren Vorlieben entsprechend übernachten. Zudem stellen wir die Herberge im Rüeggerholz vom 1. - 4. Juni kostenlos zur Verfügung.
Teilweise gab es heftige Kritik in der Stadt. Wie geht ihr damit um, wenn Werke den Leuten einfach nicht gefallen?
Wir freuen uns, dass die Werke zu diskutieren geben. Manches gefällt, manches nicht. Das trifft einen besonderen Kern unserer Gesellschaft. Wollen wir eine Gesellschaft, in der man sich auf eine gemeinsame Schnittmenge einigt, die niemanden mehr stört – grau und einheitlich, wie unsere Fassaden? Oder wollen wir eine Gesellschaft, die bunt und vielfältig ist, wie ein Blumenstrauss? Ich denke, wir alle wünschen uns den Blumenstrauss. Vielfalt in der Gesellschaft setzt aber voraus, dass man andere und anderes akzeptiert, auch wenn es einem nicht gefällt. Es ist also vollkommen in Ordnung, wenn etwas nicht gefällt und das auch ausgesprochen wird. Deshalb muss es aber nicht entfernt oder grau gemacht werden. Man kann sich stattdessen einfach an einem anderen Kunstwerk erfreuen oder es ignorieren. So entsteht Vielfalt an unseren Fassaden und in unseren Herzen.
Kritik gab es auch an der Finanzierung. Welcher Bereich dieses Festivals verursachte die meisten Kosten?
Die meisten Kosten verursachen die Kunstprojekte. Insgesamt werden über 70 Kunstwerke zu sehen sein. Gross und klein. Künstler-Honorare, Farben, Hilfsmaterial, Vorbereitung der Fassaden, Hebebühnen und Verpflegung. Wir haben darauf geachtet, dass das lokale Gewerbe involviert ist und direkt davon profitiert.
Welche Bereiche sorgten zusätzlich für hohe Kosten?
Die Organisation und das Marketing. Wobei wir hier nicht von direkten Kosten sprechen, denn von weit mehr als 3‘000 Stunden Arbeit wurde der überwiegende Anteil unentgeltlich geleistet.
Jetzt steht die Eröffnung bevor. Auf was freut ihr euch am meisten?
Auf das schöne Wetter und die Kunstvielfalt, die Frauenfeld jetzt bietet.
Interview: Stefan Böker
Gut zu wissen
Das Streetart Festival in Frauenfeld beginnt offiziell am Wochenende diesen Freitag, 2. Juni, bis Sonntag, 4. Juni 2023 mit Festaktivitäten. Alle Infos zum Programm auf www.streetart-festival-frauenfeld.ch.